Auf welche Institutionen sollen sich die Beziehungen zwischen der EU und einem Nicht-Mitgliedstaat stützen? Diese Frage zieht derzeit viel Aufmerksamkeit auf sich. Mit dem EWR besteht bereits ein Modell – doch ist dieses noch zeitgemäss?
Autor: Christian Frommelt
Institutionen des EWR
Der Europäische Wirtschaftsraum (EWR) ist bisher das umfassendste Assoziierungsabkommen, welches die Europäische Union (EU) je mit Drittstaaten abgeschlossen hat. Durch das EWR-Abkommen soll ein dynamischer und homogener Wirtschaftsraum zwischen den drei Mitgliedern der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) Island, Liechtenstein und Norwegen und den EU-Staaten geschaffen werden. Um diesen hohen Integrationsgrad zu gewährleisten, haben sich die Vertragsparteien in mühsamen Verhandlungen auf die sogenannte Zwei-Pfeiler-Struktur geeinigt. Diese besteht aus einem EU-Pfeiler und einem EFTA-Pfeiler sowie gemeinsamen Organen.
Die Zwei-Pfeiler-Struktur verlangt, dass interne EFTA-Angelegenheiten innerhalb des EFTA-Pfeilers geregelt werden . Sie sichert aber auch einen formellen und informellen Austausch zwischen der EU und den EWR/EFTA-Staaten. Im Ergebnis wirkt die Zwei-Pfeiler-Struktur gleichermassen trennend und verbindend. Diese doppelte Stossrichtung widerspiegelt die zentrale Herausforderung externer Differenzierung: Einerseits wollen beide Seiten möglichst wenig von ihrer Autonomie preisgeben und damit getrennt entscheiden, andererseits möchte man so eng wie möglich zusammenarbeiten und braucht deshalb gemeinsame Regeln.
Zweck und Aufgabe der Zwei-Pfeiler-Struktur
Bei den Verhandlungen über das EWR-Abkommen erwies sich die Suche nach einem institutionellen Rahmen als eine der grössten Herausforderungen. Die EFTA-Staaten wollten jegliche politische Integration vermeiden, welche die nationalstaatliche Souveränität – z. B. in Form von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen – in einer gemeinsamen Institution bündeln würde. Zugleich bemühten sie sich um ein Mitspracherecht bei der Entscheidungsfindung der EU für EWR-relevante Politiken und Regeln. Im Gegensatz dazu war die EU bestrebt, ein "Trittbrettfahren" und "Rosinenpicken" der EFTA-Staaten durch eine lediglich selektive Teilnahme am Binnenmarkt zu verhindern. Auch sollte aus Sicht der EU die Autonomie ihrer Institutionen und Prozesse sowie die Integrität der EU-Rechtsordnung erhalten bleiben. Im Ergebnis bedeutete dies, dass den EWR/EFTA-Staaten kein Stimmrecht im EU-Entscheidungsprozess eingeräumt wurde und dass mit dem EuGH eine EU-Institution als letzter Schiedsrichter für die Auslegung des EWR-relevanten EU-Rechts fungieren sollte.
Die Zwei-Pfeiler-Struktur des EWR soll die Homogenität von EU- und EWR-Recht sichern. Die Relevanz der Zwei-Pfeiler-Struktur erstreckt sich dabei über den ganzen Politikzyklus. Das heisst, die Institutionen des EWR sollen eine konsistente Selektion, zeitnahe und vollständige Übernahme sowie korrekte Umsetzung, Anwendung und Auslegung des EWR-relevanten EU-Rechts durch die EWR/EFTA-Staaten garantieren. Auch das sogenannte Decision-Shaping – also die Teilnahme der EWR/EFTA-Staaten und EFTA-Institutionen – am Entscheidungsprozess der EU ist eng mit der Logik der Zwei-Pfeiler-Struktur verbunden. Dadurch können die Akteure und Institutionen des EFTA-Pfeilers an der Entstehung von neuem EWR-relevantem EU-Recht mitwirken und erhalten frühzeitig wichtige Informationen für eine fristgerechte Übernahme und korrekte Umsetzung von EU-Recht in den EWR/EFTA-Staaten.
Hat die Zwei-Pfeiler-Struktur eine Zukunft?
Seit das EWR-Abkommen im April 1992 in Porto unterzeichnet wurde, hat sich vieles verändert: Während der EFTA-Pfeiler des EWR-Abkommens nur mehr drei statt der ursprünglich sieben Staaten zählt, ist die EU von 12 auf derzeit 28 Staaten angewachsen. Auch hat die EU verschiedene Vertragsrevisionen durchlaufen, während das EWR-Hauptabkommen nie angepasst wurde. Schliesslich wurden diverse EU-Rechtsakte in das EWR-Abkommen übernommen, welche spezifische institutionelle Bestimmungen enthielten.
Von all diesen Änderungen blieben die Grundstruktur und die zentralen Prinzipien des institutionellen Rahmens des EWR unberührt. Zwar wurden im Zuge der Übernahme bestimmter Rechtsakte die Kompetenzen innerhalb der Zwei-Pfeiler-Struktur neu geordnet. Es wurden aber keine neuen Institutionen geschaffen und der Grundsatz, dass interne EFTA-Angelegenheiten innerhalb des EFTA-Pfeilers geregelt werden, gilt weiterhin für fast alle Bereiche.
Des Weiteren ist es den EWR/EFTA-Staaten gelungen, mit einigen Neuerungen wie z. B. der Einführung des Fast-Track-Procedure Effizienzdefizite in der Übernahme von EU-Recht in das EWR-Abkommen auszuräumen. Positiv zu erwähnen ist auch der sich stetig verbessernde Austausch zwischen dem EFTA- und dem EU-Pfeiler, insbesondere zwischen der ESA und der Europäischen Kommission sowie zwischen dem EFTA-Gerichtshof und dem EuGH. Eine weitere begrüssenswerte Entwicklung stellen die verstärkten Kommunikationsmassnahmen zum EWR und seiner Institutionen dar.
Ja, aber ...
Warum also soll die Zwei-Pfeiler-Struktur nicht auch noch weitere 25 Jahre bestehen? Ginge es nur um die EU und die EWR/EFTA-Staaten, so würde nicht viel dagegensprechen. Die Zukunft der Zwei-Pfeiler-Struktur des EWR wird aber auch durch die derzeit laufenden Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU, der Schweiz und der EU oder der EU und den europäischen Mikrostaaten Andorra, Monaco und San Marino bestimmt. Dabei stellt sich überall die gleiche Frage: Wie kann trotz der Vorbehalte der Drittstaaten gegenüber jeglicher politischer Integration ein institutioneller Rahmen geschaffen werden, welcher eine effiziente Verwaltung der gemeinsamen Beziehungen ermöglicht und die Integrität des relevanten EU-Rechts schützt?
Die Erfahrungen des EWR zeigen, dass ein solcher Rahmen zwischen Drittstaaten und der EU zwar vereinbart werden kann, die Diskussionen über institutionelle Fragen sich aber aufgrund der dynamischen Weiterentwicklung des EU-Rechts dennoch fortsetzen. Entsprechend ist der institutionelle Rahmen zwar eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung für das gute Funktionieren externer Differenzierung. Insofern ist auch nicht davon auszugehen, dass die zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich, der Schweiz oder den europäischen Mikrostaaten ausgehandelten institutionellen Regelungen per se wesentlich besser funktionieren werden als die Zwei-Pfeiler-Struktur des EWR. Im Gegenteil: Bis die im Verhältnis zwischen der EU und diesen Staaten geschaffenen Institutionen das nötige Know-how und die erforderlichen Kapazitäten aufgebaut haben und bis sich die aktuelle Politisierung der Beziehungen dieser Staaten mit der EU in einen konstruktiven politischen Dialog transformatiert hat, sind einige Funktionsdefizite zu erwarten. Dies ist besonders im Zusammenhang mit dem Brexit zu erwarten, weil dort naturgemäss eine divergente Entwicklung des Rechtsbestandes nicht auszuschliessen ist.
Trotzdem könnte beispielsweise das institutionelle Abkommen zwischen der Schweiz und der EU in den EWR/EFTA-Staaten mittelfristig für Diskussionen über die Angemessenheit des bestehenden institutionellen Rahmens des EWR führen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf das Fehlen einer unabhängigen Überwachungsbehörde im institutionellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU zu verweisen. In der Tat ist es aufgrund der Erfahrungen der EWR/EFTA-Staaten schwer nachvollziehbar, wie eine Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt – und sei es nur partiell – ohne eine solche unabhängige Überwachung zur Zufriedenheit der EU und im Sinne einer umfassenden Rechtssicherheit funktionieren soll.
Der weitere Werdegang des institutionellen Abkommens zwischen der Schweiz und der EU ist deshalb auch für die EWR/EFTA-Staaten von besonderem Interesse und könnte früher oder später zu einer Abkehr von der derzeit bestehenden Zwei-Pfeiler-Struktur führen. Der Frage, ob dies tatsächlich im Interesse der EWR/EFTA-Staaten und der EU ist, soll an anderer Stelle auf dieser Website nachgegangen werden.
Mehr Informationen unter:
EFTA-Studies-Analyse Die Zwei-Pfeiler-Struktur des EWR
EFTA-Studies-Analyse Institutionelle Herausforderungen im EWR
Autor
Christian Frommelt, Direktor und Forschungsbeauftragter Politik am Liechtenstein-Institut
Zitierhinweis
Frommelt, Christian (2019): Die Institutionen des EWR: Benchmark oder bald überflüssig? Blog. efta-studies.org.
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